In Zeiten der Corona-Krise zeigt sich: Bestimmte Berufsgruppen und Bereiche des öffentlichen und sozialen Lebens sind systemrelevant. Dazu zählen beispielsweise das Gesundheitswesen, die innere Sicherheit, die Grund- und Lebensmittelversorgung, Kindernotbetreuung oder der Erhalt der Verkehrs- und IT-Infrastruktur. Die große Mehrheit der als systemrelevant definierten Berufe weist jedoch außerhalb von Krisenzeiten ein geringes gesellschaftliches Ansehen sowie eine unterdurchschnittliche Bezahlung auf. Darüber hinaus zeigt sich, dass systemrelevante Berufe mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden. Zu diesen Ergebnissen kommt eine aktuelle Studie von Koebe, Samtleben, Schrenker und Zucco (2020). Anhand von Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) 2013-2017 untersuchen Koebe et al. (2020) das Berufsprestige systemrelevanter Berufsgruppen. Dieses wird mittels der „Magnitude Prestige Skala“ (MPS) gemessen, einem in der Soziologie gängigen Maß zur Erfassung des gesellschaftlichen Ansehens beruflicher Tätigkeiten. Zusammen betrachtet weisen die systemrelevanten Berufsgruppen ein um rund fünf Punkte geringeres Prestige auf als der Gesamtdurchschnitt aller Berufe, der bei 63 von 200 maximal möglichen Punkten liegt. Zusätzlich stellen die Autorinnen auf Basis von Daten der Verdienststrukturerhebung 2014 fest, dass der mittlere Stundenlohn in diesen Berufsgruppen rund 7 Prozent niedriger ausfällt als der Durchschnitt aller Berufe. Insgesamt lässt sich feststellen, dass über 90 Prozent der Beschäftigten in Berufen, die aktuell der kritischen Infrastruktur zugeordnet werden, unterdurchschnittlich verdienen. Der Frauenanteil in diesen Berufsgruppen liegt dabei bei knapp 60 Prozent. In Krisenzeiten wird somit die Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher Unverzichtbarkeit und tatsächlicher Entlohnung besonders offensichtlich. Um die gesellschaftliche und finanzielle Anerkennung zu erhöhen und auch dem Fachkräftemangel in den sogenannten systemrelevanten Berufen entgegenzuwirken, schlagen Koebe et al. (2020) daher vor, dort beispielsweise die tarifvertragliche Absicherung auszubauen. Damit könnte auch der Gender Pay Gap, also die Verdienstlücke zwischen Frauen und Männern, reduziert werden. Im Nachgang der Pandemie wäre es aus wissenschaftlicher Sicht interessant zu untersuchen, welchen langfristigen Effekt die Corona-Krise auf Berufsprestige, Löhne und nicht zuletzt den Gender Pay Gap hat. Dazu wäre es wünschenswert, wenn sich Umfragen in den kommenden Jahren vermehrt dem Berufsprestige widmen, da die in den 1980er Jahren entwickelte Magnitude Prestige Skala dynamische Entwicklungen nicht abbilden kann.
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Josefine Koebe, Claire Samtleben, Annekatrin Schrenker und Aline Zucco. 2020. Systemrelevant und dennoch kaum anerkannt: Das Lohn- und Prestigeniveau unverzichtbarer Berufe in Zeiten von Corona. DIW aktuell 28.